Der Bundesgerichtshof hatte im Mai dieses Jahres im folgenden (leicht abgeänderten Fall) zu entscheiden:
Die im Jahr 1984 geborene uneheliche T echter begehrte von ihrem Vater Kindesunterhalt. Diese hatte im Jahr 2004 ihr Abitur mit einem Notendurchschnitt von 2,3 bestanden. Ihr Wunsch war es schon damals, nach dem Abitur Medizin zu studieren. Von diesem langjährigen Wunsch wusste der Vater aber nichts.
Letztmalig getroffen hatte er seine Tochter, als diese 16 Jahre alt war. Nach dem Abitur schrieb der Vater seine Tochter an und teilte mit, dass er davon ausgehe, dass er nach dem bestandenen Abitur keinen Unterhalt mehr zahlen müsse. Sollte dies anders sein, so möge sie sich bei ihm melden. Dies tat sie nicht. Da der Notendurchschnitt für die Aufnahme eines Medizinstudiums aber nicht ausreichte, nahm die T achter zunächst im Februar 2005 eine Ausbildung als anästhesietechnische Assistentin auf, die sie im Januar 2008 mit einer Gesamtnote von 1,0 abschloss. Während dieser Zeit bewarb sie sich aber durchgängig für die Aufnahme des Medizinstudiums. Erst zum Semester 2010/2011 wurde sie an der Hochschule angenommen. In der Zeit von 2008 bis 201 0 arbeitete sie in dem erlernten Beruf weiter. Mit der Aufnahme des Studiums begehrte die fast 26jährige Tochter vom Vater Kindesunterhalt.
Gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) schuldet ein Unterhaltspflichtiger seinem Kind eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am bestens entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Eltern, die ihrem Kind eine solche Berufsausbildung gewährt haben, sind grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen. Ausnahmen sind aber natürlich im Einzelfall zu prüfen. Eine fortdauernde Unterhaltspflicht kommt dann in Betracht, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war. Grob zusammengefasst, sind Voraussetzungen für einen solchen Kindesunterhaltsanspruch bei einem mehrstufigen Ausbildungsweg u. a. ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Lehre und Studium sowie Zumutbarkeit der Finanzierung eines Studiums für die Eltern bzw. für den Elternteil. Letzteres setzt dabei voraus, dass die Eltern oder der jeweilige Elternteil über den verfolgten Ausbildungsweg des Kindes in Kenntnis gesetzt wurden / wurde (Gegenseitigkeitsprinzip).
In dem vorliegenden Fall bestand ein sachlicher Zusammenhang zwischen Lehre (anästhesietechnische Assistentin) und Studium (Medizin). Auch bestand ein zeitlicher Zusammenhang. Nach dem Abitur hatte die T echter die Lehre aufgenommen und bis zum Einstieg ins Studium weitergeführt. Nach dem Gegenseitigkeitsprinzip hätte es aber der T echter oblegen, dem Vater als Unterhaltsschuldner mitzuteilen, dass sie schon immer ein Medizinstudium aufnehmen wollte. Auf sein damaliges Schreiben hatte sie nicht reagiert. Der Kindesvater musste also nicht mehr damit rechnen, dass die Tochter für ihre Ausbildung noch Ansprüche geltend macht. Hätte sie damals ihrem Vater ihren Berufswunsch mitgeteilt, würde sie höchstwahrschlich gegen ihren Vater einen Anspruch auf Kindesunterhalt haben. Allgemein ist aber auch zu beachten, dass der unterhaltspflichtige Elternteil im Einzelfall auch eine Verzögerung der Ausbildungszeit hinnehmen muss, die auf ein vorübergehendes Versagen des Kindes zurückzuführen ist (z. B. Verlängerung der Ausbildung wegen nichtbestandener Prüfung). Im Gegenzug obliegt es aber auch dem Kind, die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden.
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Rechtsanwältin Stefanie Lange von der Kanzlei Lange & Seifert
erschienen in der 28. KW/ 2017 im Wochenkurier Lokalverlag GmbH & Co. KG